Das Schreiben hält zusammen, wie ein guter Anzug. Draußen ist es schwül, als läge Dresden tief im Süden. Vielleicht kommen die Leute deshalb so locker aus der Hüfte mit ihrer Wut, wie sonst nur in Laredo, Texas.
Café Continental, Dresdner Neustadt. Guter Pinot Grigio, niemand da, den ich kenne. Doppelte Verneinung gefällig? Wenn ich Glück habe, kommt eine halbe Stunde niemand lang, auf den das nicht zutrifft.
Ein Straßenschild direkt an meinem Tisch auf dem Gehweg, die perfekte Engstelle. Ein Kinderwagen, der nicht vorbeikommt, eine genervte Mutter, die mich komisch ansieht, weil ich derjenige bin, der ausgerechnet hier sitzen muss. Weil ich aussehe wie einer dieser Männer die Sex haben und sich anschließend nicht kümmern. Weil ich arrogant wirke, letztendlich, weil ich überhaupt existiere. Als ich dem Wagen einen kleinen Stubs gebe, um die Umarmung des rechten Vorderrades mit dem Schild zu lösen, ärgert Madame sich erneut, da sie sich nun auch noch bei mir bedanken muss.
Dieselbe Übung mit zwei Blinden, zwei dicken Mittvierzigern, ein Mann und eine Frau, die mich für den gleichen, unglücklich gewählten geographischen Standort, für dieselbe vermeintlich vermeidbare Straftat – ihnen den Weg zu versperren – doch tatsächlich verächtlich zu mustern scheinen …
Auf der anderen Straßenseite lärmt penetrant ein Singer/Songwriter. Zur Erklärung: Singer/Songwriter sind junge Männer die nicht singen können, zu wenig Gitarre üben und die Allgemeinheit dafür bestrafen, dass sie von ihrer Freundin verlassen wurden. (Glauben Sie mir, ich kenne mich aus.)
Ich denke an Nick Drake, Tom Waits und Leo Cohen und komme mir wie ein Arsch vor. Da ich einer von der Sorte bin, die austeilen aber nicht unbedingt einstecken können, stelle ich einen Vergleich an: Zwischen den genannten Genies und dem Milchbart-Jüngelchen von gegenüber. Ich entscheide mich, nun fundierter, den Typen Scheiße zu finden. Millionenfach ertragen; langweilige Riffs, beschissene, nihilistische Texte. Auf Deutsch. Einer Sprache, die – zumindest wenn Musik in der Nähe ist – nur Jochen Distelmeyer und ein paar andere spacke Hamburger beherrschen, solange sie nicht bei TOCOTRONIC spielen und nebenher das Maul aufreißen. Rio Reiser und dieser Wahnsinnstyp von FINK sind leider tot. (Und fangt mir jetzt ja nicht mit Udo an … )
Es ist Sommer. Texas, Alabama – Dresden. In der Innenstadt Horden revolutionärer Reaktionäre. Im Rest von Deutschland heißt es: Hier seien sie alle so. Das geht mir mindestens so am Allerwertesten vorbei, wie die vorgestreckten Kinnpartien von Extremisten jeglicher Couleur.
“Somewhere in the south. Probably in the fall …”
Ich lockere die Krawatte, schwitze trotzdem, die Sonne macht das Display unsichtbar. Ich liebe die Hitze. Auch wenn ich sie Jahr für Jahr schlechter vertrage. Berlin … ach was, dieses ganze gottverdammte Land unter Wolken und gefühlte 10 Monate Kälte übers Jahr, das sind echte Probleme. Und was in diesem Land los ist, natürlich.
Ich zieh mir alles rein. Radio, Straße, Netz-Blase. Kein Wunder, dass ich mies drauf bin. Aber ich kann nichts dagegen machen, ich bin süchtig nach allem, was die Leute so verzapfen. Wenn ich so weitermache, werde ich als melancholischer Misanthrop enden.
Warum schaltest du dann nicht das Radio aus, legst ‘ne Platte von John Coltrane auf und schreibst in der komfortablen Abgeschiedenheit deiner vier Wände? Darum. Ich will arbeiten, nicht herumtigern und mir solange einen runterholen müssen, bis ich blute. Im Apartment gefangen zu sein ist wie ersticken, wie Knast, wie Streckbank. Dort tappe ich in die Idiotenfalle: Arbeit – gleich Selbstwert. Nichts zustande bekommen – gleich ein Versager zu sein. Kann ich schon wieder …? Noch einmal? Google hält mich für abartig, total krank …
Zu Hause halte ich die eigene Anspannung nicht aus – a love supreme hin oder her. Ich komm nicht rein … in die Arbeit. Stattdessen wasche ich ab, ist schnell erledigt: ich besitze genau 2 Teller. Ich lege Gegenstände auf Kante, die längst perfekt ausgerichtet sind. Was nützt es mir, dass andere Leute was von Zwanghaftigkeit raunen? Wöllte ich in deren Saustall leben? Nein. Und natürlich weiß ich, was prokrastinieren heißt. Ich weiß auch, dass ich dieses Wort nicht mag. Es klingt einfach Scheiße. Wie Maximilian, oder Marcel. Fairerweise muss man anerkennen, es bezeichnet auch einen Scheiß-Zustand. Da ich gerade so einiges weiß, weiß ich auch, dass ich nur noch eine halbe Stunde habe, da ich immer nur höchstens eine Stunde habe: Weil ich zur Arbeit, oder etwas anderes erledigen, oder jemanden treffen soll – weil ich einfach nie gelernt habe, Nein zu sagen.
Also noch ein Weilchen die Engstelle, Blinde und Sehschwache, der liebe Nachwuchs, herumkutschiert von frustrierten, sich selbst und ihrem “Tagessoll” überlassenen Müttern, die den Finger am Abzug und die Hand an der Kehle unserer Zukunft haben. Nicht zu vergessen die schwarzhaarige, südländisch wirkende Bedienung mit den Zahnreihen einer Piratin. Beiß mich! Jeden Gedanken an jede erdenkliche Sünde wert, bis ihr Freund sie abholt, der aussieht wie George Clooney, nur größer und breiter und zirka 30 Jahre jünger als ich und Clooney.
Ein besoffener Typ quatscht mich voll: Excuse me, are you a writer? Nee ich sprech deutsch. Achso. Sind sie Leiter? Häh? Na, Leiter von ‘nem EDV Projekt, also ich meine, das hätten Sie auf jeden Fall drauf, so wie sie hier an ihrem … Computer sitzen.
Alter …
Ich denke an meinen Freund Herrn Blattgold, truly EDV-Berater, und seine Einschätzung meiner Person. Also sage ich wahrheitsgemäß: Nein. Dann wende ich mich wieder meinem Text zu, der einen gewissen E. Howard Hunt durch den Kakao zieht, einen CIA-Typen, der längst tot ist und den heute kein Aas mehr kennt.
Der Spacko wendet sich auch, nämlich seiner Frau zu und bemerkt, der Singer/Songwriter von gegenüber habe das “Zeug von Bob Marley!”
Das Zeug von … Bob Marley? Was soll das sein? Hundert Gramm feinstes Gras? Kann nicht sein, schon ein einziges Gramm würde dafür sorgen, dass der Schlaffi viel besser spielen … – Nee, bloß nich’! – dass er in seiner Studentenbude ein seeliges Nickerchen hielte, wärend ich mich hier entspannt an Howard alias Edoardo abarbeiten könnte.
Nix is.
“Ich bin aus Schnee, ich lieb dich, wenn ich dich seh – Und bleib einsam, wenn ich geh…”
… näselt es über die Straße. Ich überlege, ob ich mein Chromebook zuklappe und ihn wie eine Rugby-Scheibe über die Straße segeln lasse, volle Kanne in die dumme Hipster-Fresse, auf dass endlich Ruhe ist.
Als hätte ich telepathisch was auf der Pfanne, hört der Typ plötzlich auf zu spielen und kommt über die Straße. Ich will mir schon die Kette von meinem Schlüsselbund krallen, aber der alte Sack am Nebentisch ruft ihn zu sich und sagt: “Junger Mann, wenn du im Dynamo-Stadion (Fuck, echt jetzt Alter?!) dein erstes großes Konzert gibst, dann wünsch ich dir viel Erfolg! Werde leider nicht kommen können, einfach zu viel zu tun. Aber du, du wirst es schaffen!”
“Äh, Danke …”, stammelt der junge Marley, nun ebenfalls schwer irritiert. Geschieht ihm nur Recht.
Apropos Singer/Songwriter. Nach dem Tod von Wiz Cromley flog der Bass in die Ecke und ich ging ein Jahr lang spazieren. Nachdem sich Rose von mir trennte, Ende 2006, ging ich ein weiteres Jahr spazieren, hörte auf zu saufen und wäre ohne David Sylvian wohl trotzdem eingegangen. Ich besorgte mir eine Gibson J200 und schrieb so an die 70 Songs. Wie gesagt, kann jeder Idiot. Als ich 2010 Lilly begegnete – und es mir langsam besser ging (wer bekommt sowas schon ganz alleine hin), schrieb ich weiter Songs. Die waren gar nicht mal sooo schlecht, klar, da denkt man, vielleicht könnte da ja doch was gehen …
Meine Stimme klingt ein bisschen wie die von Bob Dylan. Das kommt daher, dass wir beide nicht singen können. Man zieht den Ton halt irgendwie dorthin, wo man ihn haben will. Aber in diesem Punkt war und ist der gute Bob zweifellos der Erste und Letzte, von dem der Rest der Welt je gehört hat. Außerdem hat der alte Knochen – neben Pablo Neruda vielleicht – die besten Texte geschrieben, welche je von den Klängen einer verstimmten Gitarre belästigt worden sind. Ich hingegen stimme mein Instrument öfter als ich … Sie wissen schon. Und von meinen bisher 6 Soloalben sind via Bandcamp, glaub ich, so an die 34 Stück verkauft worden.
Ich meine, insgesamt. 😉